Legenden Kölner Frauen

“Legenden Kölner Frauen” ist ein Projekt, der für die U-Bahn Passage am Ebertplatz in Köln entstanden ist. In Bemühungen Ebertplatz von einem Angstraum in ein für Bürger*innen angenehmen Ort zu verwandeln, entstanden dort seit Frühjahr 2018 viele Projekte. So erarbeiten verschiedene Initiativen, Anwohnerinnen und Arbeitsgruppen gemeinsam mit der Stadt Köln Projekte, Konzepte und Veranstaltungen. So ist auch dieses Projekt durch Kulturamt Stadt Köln gefördert und von den Kölner Verkehrsbetrieben und Unser Ebertplatz unterstützt.

Was macht St. Ursula am kölner Ebertplatz? Wer war die Frau, der die Agneskirche gewidmet ist? Was verbirgt sich unter der Kirche St. Kunibert, und wie bringt St. Gertrud dies alles zusammen?

Diese Kunstausstellung widmet sich den Legenden der vier Kirchen um den Ebertplatz: St. Ursula, St. Agnes, St. Kunibert und St. Gertrud. Ihre Geschichten erstrecken sich über 2000 Jahre Kölner Stadtgeschichte und behalten ihre Relevanz bis in die Gegenwart. Bis auf St. Gertrud haben alle NamensgeberInnen in Köln gelebt, und ihr Nachlass ist im Stadtbild allgegenwärtig. Die Künstlerin setzt sich mit ihren Geschichten auseinander und sucht nach neuen Wegen, sie zu betrachten. Der Blick auf das Frausein ist dabei ausschlaggebend. „Köln ist seit 20 Jahren meine Wahlheimat. Je mehr ich über die Stadt erfahre, umso verankerter fühle ich mich hier.“, erklärt die Künstlerin Zrinka Budimlija. Dieses Gefühl möchte sie zurückgeben, doch sei die Stadtgeschichte im Alltag nicht immer einfach zu erkennen: „In Köln gibt es viele Schichten vergangener Leben, einige davon unter der Erde, einige für immer verloren durch Zeit oder Zerstörung. Was uns bleibt sind die Erzählungen.“ Für diese Ausstellung hat die Künstlerin Gemälde in Öl und Acryl auf Leinwand angefertigt. Anschließend wurden diese Werke digitalisiert, gedruckt und an den Leuchtkästen angebracht.

 
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URSULA

Vernissage 10.10.2020

Vernissage 10.10.2020

St. Ursula ist die oberste Stadtheilige von Köln. Sie gilt heute als reine Legendenfigur ohne historische Existenz, weil ihr Leben nicht durch zeitgenössische Quellen bezeugt ist. Die ihr gewidmete Kirche befindet sich südlich vom Ebertplatz in Domnähe. Die Ursulalegende besagt, dass Ursula die Tochter eines britannischen (oder bretonischen) Königs war und im 4. Jahrhundert gelebt haben soll. Sie war für ihre Schönheit bekannt und wurde deshalb vom mächtigen König von England für seinen Sohn Aetherius zur Frau auserkoren. 
Dies warf Ursula vor ein Dilemma: einerseits war sie sehr gläubig und hatte Jungfräulichkeit geschworen, weshalb eine Heirat für sie nicht in Frage kam. Allerdings drohte der König im Fall ihrer Weigerung mit Krieg und Vernichtung. So akzeptierte sie die Heirat zum Schein unter der Bedingung, dass sie zuvor eine Pilgerfahrt von drei Jahren machen dürfte. Dies wurde ihr gewährt. Sie machte die Pilgerfahrt und starb auf der Rückreise. Obwohl ihr ein Engel den Tod in Köln prophezeite, ging sie in Köln trotzdem vom Schiff, wo sie und ihre Gefährtinnen von Hunnen getötet wurden.

Überlieferung und Interpretation

Nachdem die Legende rund 500 Jahre mündlich überliefert wurde, beginnen Mönche um das 8. Jahrhundert sie aufzuschreiben. Weitere 400 Jahre vergehen, bis die Legendenbildung abgeschlossen ist. Im Laufe der Zeit wurde ihre Legende immer weiter ausgeschmückt. Wie eine Geschichte erzählt wird, hängt sehr stark von der erzählenden Person und ihren Ansichten ab. Wenn wir heute die Ursulalegende lesen, können wir uns auf ihre Frömmigkeit und Jungfräulichkeit konzentrieren, oder aber auf das Kalkül, mit dem sie ihre Entscheidung getroffen haben muss. Als der König sie vor das Ultimatum stellt zu heiraten und andernfalls damit droht, Krieg über ihr Volk zu bringen, schafft sie eine dritte Möglichkeit: Indem sie zum Schein zusagt und dann direkt verreist, beweist sie diplomatisches Fingerspitzengefühl. Sie vermeidet Krieg, beschützt ihr Volk, wahrt ihr Gesicht und bekommt was sie will. Durch ihre Reise gewinnt sie Zeit, vielleicht um strategische Überlegungen zu machen, Verbündete zu gewinnen oder eine Armee anzuheuern.

Elf Frauen aus der Umgebung vom Ebertplatz ließen sich für dieses Projekt portraitieren, stellvertretend für Ursula und ihre Gefährtinnen. Die Künstlerin hat sie für diese Portraits gebeten, an die schwierigen Momente in ihren eigenen Leben zu denken, an große Entscheidungen und Herausforderungen, die sie meistern mussten. Wie bewerten wir die Geschichten von Frauen? Werden sie als mutig, klug und entscheidungsfreudig dargestellt oder als passiv und schwach? Anhand der Ursulalegende möchte die Künstlerin kritisch diese Frage aufwerfen.

AGNES

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St. Agnes von Rom ist eine Heilige aus dem 3. Jahrhundert. Die Kirche St. Agnes in Köln ist ihrer Schutzherrschaft unterstellt. Nach dem Dom ist St. Agnes die größte Kirche Kölns. Das umliegende Agnesviertel ist nach ihr benannt. Gebaut wurde die Kirche mittels der Stiftung von Peter Joseph Roeckerath. Die Kirche sollte als Grabkirche für seine 1890 verstorbene Frau dienen.

Agnes Roeckerath

Agnes Margaretha Schmitz wurde 1846 in Köln geboren. Im Alter von drei Jahren verliert sie ihre beiden Eltern, die an Cholera sterben. Von da an lebt sie bei ihrer Tante, einer Kappesbäuerin*. Agnes‘ Tante besitzt große Grundstücke in Stadtnähe und darüber hinaus ein nicht unerhebliches Vermögen. Agnes ist ihre alleinige Erbin. Ende 1867 heiratet Agnes Schmitz den Witwer Peter Joseph Roeckerath, der in Neuss als Lehrer arbeitet und in Köln Häuser für den Mittelstand baut. Im Zuge der Stadterweiterung ab 1880 kommt die Familie durch den Verkauf der Grundstücke aus Agnes‘ Erbe zu erheblichem Reichtum. Agnes bringt zwölf Kinder zur Welt, davon überleben zehn. Im Alter von nur 44 Jahren stirbt Agnes Roeckerath. Der Tod seiner geliebten Frau trifft Peter Joseph schwer. Durch ihr Erbe erlangt er Reichtum und will nun mit einem Teil dieses Vermögens durch die Stiftung einer Kirche Gott danken. Die Wahl des Ortes fällt auf eine Stelle an der Neusser Straße. Die Kirche bekommt den Namen St. Agnes in Erinnerung an seine Frau. In der Vorhalle der Kirche steht auf Latein eine Widmung, in der Agnes Roeckerath als „vortreffliche Gattin und Mutter“ beschrieben wird. Als die Agneskirche gebaut wird, steht sie noch inmitten der Kappesfeldern*. Später wird nach und nach um sie herum das heutige Agnesviertel entstehen.

(*Kappes – Dialektwort für Weißkohl)

Überlieferung und Interpretation

Alles, was man über Agnes Roeckerath in Erfahrung bringen kann, findet man in den Artikeln und Büchern über ihren Mann. Er war ein sehr erfolgreicher Kölner, katholischer Religionslehrer, Bauunternehmer und Reichstagsabgeordneter. Seine Frau Agnes war Hausfrau und Mutter. Für Hausfrau- und Muttersein bekommt man keine Lorbeeren. Agnes muss eine außergewöhnliche Frau gewesen sein, um ihren Mann zu so einer Geste zu inspirieren. Aber was sie im Einzelnen ausgezeichnet hat, das bleibt uns verborgen. Über sie wurde nicht berichtet, und somit wurde ihr Beitrag als unbedeutend abgetan. Es bleiben viele Fragen offen. Vielleicht ist die Idee des sozialen Wohnungsbaus für Arbeiter und erschwinglichere Wohnungen für den Mittelstand, die ihr Mann betrieb, auch in ihren Werten verankert und sie war die treibende Kraft? Obwohl ihr so ein großes Denkmal gesetzt und Köln durch ihr Erbe verändert wurde, ist sie vielen Kölnern nicht näher bekannt. Die Rolle der Frau beschränkte sich zu jener Zeit auf Kinder, Küche, Kirche. Es war sicherlich nicht einfach, in einer stark patriarchalischen Gesellschaft als Frau in anderer Rolle gewürdigt zu werden. Das Portrait zeigt auf der linken Seite die zwanzigjährige Agnes Schmitz noch vor ihrer Heirat und auf der rechten Seite die vierundvierzigjährige Agnes Roeckerath nach zwölf Schwangerschaften und 23 Ehejahren.

KUNIBERT

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St. Kunibert ist ein Kölner Lokalheiliger. Die ihm gewidmete Kirche befindet sich zwischen Dom und Ebertplatz. Auch das umliegende Veedel ist nach ihm benannt.

Kunibert wurde um 590 an der oberen Mosel geboren. Als Teil des moselfränkischen Adels genießt er eine höfische Ausbildung und wird erster Diakon der Trierer Kirche und damit der Stellvertreter des Bischofs. Ein Wechsel nach Köln steht an, als er durch König Dagobert I. selbst zum Bischof berufen wird. Nach Dagoberts Tod wird Kunibert zum Vormund für den Thronfolger Sigibert III. berufen. Er ist sehr wahrscheinlich Mitverfasser des merowingischen Gesetzbuches (Lex Ribuaria), er missioniert, errichtet Orte für Armenspeisungen, Kloster und Kirchen und ist politisch sehr aktiv.

Überlieferung und Interpretation


In der Krypta der Basilika St. Kunibert befindet sich der Brunnen, der der Legende nach, die Frauen fruchtbar macht. Die Legende besagt, dass eine Frau, die in einer Vollmondnacht aus diesem Brunnen trinkt, bald ein Kind bekommt. Im mittelalterlichen Volksglauben stellte man sich vor, am Grund dieses Brunnens sei es nicht dunkel und feucht, sondern hell und freundlich - ein paradiesischer Ort. Dort würde Maria auf die Kinderseelen aufpassen, die auf grünen Wiesen spielten, und sich um sie kümmern, bis ihre Mütter kommen und sie „abholen“. Dieser Glaube manifestierte sich in überliefertem Liedgut bis ins 19. Jahrhundert und hält sich in Sprichwörtern bis heute.

Kunibert ließ während seines Pontifikats eine Kapelle oberhalb dieses Brunnens bauen. Historiker glauben, dass dieser Ort, nördlich der römischen Stadtmauer, eine alte fränkische Kultstätte war, die der Verehrung alter germanischer Gottheiten diente. Es war der heilige Clemens, ein Wasserheiliger, dem Kunibert die neuerbaute Kirche widmete. Damit verschmolz Kunibert den germanischen Glauben mit dem christlichen. Kunibert verbindet so die Vergangenheit mit der Gegenwart und erzeugt damit eine neue Realität. Anstatt die fränkische Kultstätte zu ignorieren oder gar zu zerstören, integriert er sie in seine Wahrheit und macht sie damit in seiner Zeit gegenwärtig. Er hilft damit auch einer Legende, die Jahrtausende zu überdauern, und webt so einen Faden, der die Menschen über Generationen miteinander verbindet.

Ähnlich wie die Geschichte von Ursula, hält sich die Geschichte von Kunibert im Volksmund über Jahrhunderte. Obwohl sein Leben nur mit Hilfe von historischen Indizien und Hinweisen zu rekonstruieren ist, bleibt er im kollektiven Gedächtnis der Menschen erhalten und im geschichtlichen Kontext Kölns fest verwoben.

Das Gemälde zeigt die „Wasserkinetische Plastik“ des Bildhauers Wolfgang Göddertz am Ebertplatz. Dieser Brunnen belebt einen zuvor vergessenen und gemiedenen Platz und erfindet ihn neu. Er lässt sich im weiteren metaphorischen Sinne mit der mittelalterlichen Vorstellung des paradiesischen Treibens am Grunde des Kunibertsbrunnens verbinden. Bei Kunibertspütz spielen die Kinderseelen an einem erdachten und geglaubten Ort, und bei der „Wasserkinetischen Plastik“ wird wiederum ein Ort geschaffen, an dem Kinder heute tatsächlich spielen. Beide Vorstellungen und Orte verbinden die Menschen in dieser Stadt miteinander.

 

GERTRUD

 
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St. Gertrud von Nivelles ist eine belgische Heilige aus dem 7. Jahrhundert. Die Kirche St. Gertrud befindet sich westlich vom Ebertplatz. Die 1965 fertiggestellte Kirche wurde vom Architekt Gottfried Böhm im Stil des Brutalismus entworfen.

Überlieferung und Interpretation

Die heilige Gertrud von Nivelles hat im Gegensatz zu den anderen drei Persönlichkeiten dieser Arbeit nie in Köln gelebt. Sie wurde Leiterin des von ihrer Mutter gegründeten Klosters in Nivelles und erlangte als Heilige große Verehrung. Gertrud war sehr gebildet und setzte sich dafür ein, dass auch Mädchen lesen lernen durften. Ihr Einsatz für die Betreuung von Kranken und Bedürftigen ließ sie zur Patronin von Krankenhäusern werden. Im Mittelalter trugen diese deshalb oft ihren Namen. Die heilige Gertrud wird mehrfach mit einer Spindel dargestellt - Symbol für den Lebensfaden und mythisches Erbe der germanischen “Nornen”, der griechischen “Moiren” oder der römischen “Parzen” - allesamt Schicksalsgöttinnen, die den Lebensfaden der Menschen spinnen, ihn zumessen und am Ende abschneiden.

Was wir mit Menschen aus der Vergangenheit gemeinsam haben, ist eben dieser Lebensfaden. Wir sind nur für eine bestimmte Zeit auf der Welt und erleben nur einen bestimmten Abschnitt von Zeit und Raum. Trotzdem haben wir eine Verbindung zu der Zeit vor und nach uns. Der Tod schneidet uns den Lebensfaden ab, aber die Geschichten, die über uns erzählt werden, verlängern ihn. So ist es möglich, Zeit und Raum zu überdauern. Auch wenn es meist verborgen bleibt, unsere Lebensfäden kreuzen sich und weben unsere Geschichten auf komplexe Art und Weise zusammen. Und es lässt uns staunen, wenn wir hier und da Einblicke in dieses verworrene, zauberhafte Gefüge bekommen. Das Gemälde zu St. Gertrud interpretiert das Motiv des Lebensfadens in den Händen der Schicksalsgöttinnen, dieser wird hier aber nicht durchtrennt. Die Emphase liegt auf den Verbindungen, die die Fadenläufe eingehen, den Zusammenhängen, die hergestellt werden. Auch in der Arbeit der heiligen Gertrud ging es darum, konstruktiv zu sein, sich einzusetzen, zu vernetzen, den Blick auch in die Zukunft zu richten, soziale Unterstützung zu leisten und damit schließlich Verbundenheit zu schaffen.


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